Chatkontrolle: Verschlüsselte Dienste geraten in den Fokus

Michael Schäfer
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Chatkontrolle: Verschlüsselte Dienste geraten in den Fokus
Bild: PxHere | CC0 1.0

Im Ringen um eine Einigung in der Frage zur Chatkontrolle sind die Fronten nach wie vor verhärtet. Jüngste Enthüllungen dürften daran nur wenig ändern, sondern die Debatte eher erneut entfachen. Demnach sollen besonders Messenger- und Chatdienste, die unter anderem eine anonyme Nutzung ermöglichen, kontrolliert werden.

Über einen entsprechenden Vorschlag der belgischen Ratspräsidentschaft berichtet Netzpolitik.org. Laut diesem sollen genannte Dienste, die sich vor allem durch den Schutz ihrer Nutzer und einer entsprechenden Verschlüsselung auszeichnen, mit einem hohen Risiko versehen und daher als erste kontrolliert werden. Damit führt Belgien einen bereits Ende Februar vorgelegten Vorschlag, den Netzpolitik.org ebenfalls veröffentlichte (PDF) weiter fort, der gegenüber den ersten Ausarbeitungen eine feinere Abstufung vorsieht. So sollen Anbieter dabei in vier Kategorien eingeteilt werden. Die reichen von einem „vernachlässigbaren Risiko“ bis zu einem „hohen Risiko“, wobei die Risikobewertung nach einer festgelegten und standardisierten Methodik erfolgen soll. Anbieter mit einem hohen Risiko sollen dabei die meisten Pflichten und Anforderungen auferlegt werden. Doch auch der neue Kompromissvorschlag konnte ebenso wenig für eine Einigung innerhalb des EU-Rates sorgen.

Die Risikobewertung zur Chatkontrolle des belgischen Vorschlages
Die Risikobewertung zur Chatkontrolle des belgischen Vorschlages (Bild: Netzpolitik.org)

Sicherheit gerät in den Fokus

Die höchste Kategorie soll den Veröffentlichungen zufolge nun vor allem auf Dienste übertragen werden, die eine verschlüsselte Inhaltsübermittlung und damit eine gesicherte Privatsphäre bieten. Per Definition würden darunter bereits anonyme Profile oder Zugriffe ohne Benutzerkonto fallen. Gleiches kann für interaktive Funktionen wie Direktnachrichten, Posts oder Nutzerkommentare gelten.

An der anlasslosen Überwachung von Millionen EU-Bürgern, so die Kritiker, würde sich dadurch nichts ändern. So dürfte es ebenso wenig verwundern, dass sich vor allem das EU-Parlament, welches eine völlig diametrale Position zum EU-Rat und der EU-Kommission einnimmt, negativ über den Vorschlag äußert und weiterhin fordert, die Überwachung weiterhin nur auf unverschlüsselte Inhalte anzuwenden. Eine Einigung scheint somit nach wie vor in weiter Ferne und eine Umsetzung bis zu den Europawahlen am 9. Juni 2024 immer unwahrscheinlicher, zumal selbst bei einer Einigung im EU-Rat noch die Trilog-Verhandlungen zwischen den drei Organen geführt werden müssen – und auch hier dürfte es so schnell keine Einigung geben. Hinzu kommen zudem möglicherweise veränderte Kräfteverhältnisse nach den Wahlen, bei denen vor allem die Kommission als treibende Kraft noch mehr Gegenwind bekommen könnte.

Der kommt bereits jetzt: So haben 50 zivilgesellschaftliche Organisationen sowie 26 einzelne Experten (Stand 18. April 2024, 10.00 Uhr) in einem offenen Brief dazu aufgerufen, den belgischen Vorschlag abzulehnen.

Mehr Schutz, mehr Kontrolle

Die Gegner der Chat-Kontrolle sehen sich durch die jüngsten Veröffentlichungen in ihrer Kritik bestätigt. Für Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), spiegelt der neuste Entwurf der belgischen Ratspräsidentschaft alle Bedenken wider. Sie sieht in diesem keinerlei Verbesserungen, sondern eher das Gegenteil sei der Fall: Für sie wird deutlich, „dass jegliche Technologie, die dem Schutz der Privatsphäre dient, zu schärferen Aufdeckungsanordnungen führt“. Gegenüber dem Portal für digitale Freiheitsrechte erklärte Eickstädt, es sei eine Illusion zu glauben, „dass mit Hilfe dieses Umsetzungskatalogs differenziertere oder gezieltere Überwachung erfolgen kann“.

Auch vermeintliche Profiteure dagegen

Für die Befürworter der Maßnahmen sollte es vor allem ein Fingerzeig sein, dass insbesondere der Deutsche Kinderschutzbund, der sich unter anderem auch massiv für die Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder einsetzt, das Vorhaben als unverhältnismäßig ablehnt. In das gleiche Horn blasen Vertreter der Ermittlungsbehörden, die sich bei einem entsprechenden Gesetz mit deutlich steigenden Zahl an Meldungen und dem dadurch verbundenen Arbeitsaufwand und der Bindung von Ressourcen, die für die eigentlichen Ermittlungsarbeiten nicht mehr zur Verfügung stehen, konfrontiert sehen. Insofern würde ein entsprechendes Gesetz ihre Tätigkeit sogar behindern.

Lebensrealität versus EU-Innenminister

Für den den EU-Abgeordneten der Piratenpartei und „Schattenberichterstatter zur Chatkontrolle “ Patrick Breyer ist es ein absolutes Unding, dass vor allem datenschutzfreundliche und anonym nutzbare Kommunikationsdienste und solche mit sicherer Verschlüsselung in den Fokus des Vorhabens geraten. Als Beispiel hierfür nennt Breyer in einer Stellungnahme Protonmail und Signal. Für ihn scheint alles „was das Internet und digitale Kommunikation ausmacht und moderne Lebensrealität ist, ist für die EU-Innenminister ein zu bekämpfendes ‚Risiko‘“. Ähnlich sieht es die Spitzenkandidatin der Piratenpartei zur Europawahl Anja Hirschel: „Sichere Verschlüsselung und datensparsame Messenger sind in den Fokus der Überwachung gerückt“, so die Informatikerin. Sie sieht die Befürchtung bestätigt, dass Nachrichten vor der Transportverschlüsselung direkt auf den Endgeräten mitgelesen werden sollen. Sichere Kommunikationswege könnten so mit nur einem Update zum persönlichen „Taschenspion“ werden, erklärt Hirschel weiter.