GDC 2016

IO Interactive zu Hitman: Chancen und Hürden von AAA-Titeln in Episoden

Andreas Schnäpp
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IO Interactive zu Hitman: Chancen und Hürden von AAA-Titeln in Episoden

Einleitung

Auf der GDC Europe 2016 sprach Hannes Seifert, Studio Head und Executive Producer bei IO Interactive, über die Beweggründe und daraus entstandenen Herausforderungen, die Hitman-Reihe im neuesten Ableger in ein episodisches AAA-Format überzuführen. Ein Schritt, der Anfang dieses Jahres nicht kritiklos über die Bühne gegangen ist.

Wieso etwas ändern?

Rückblickend sei der Wechsel zum rein digital vertriebenen „episodischen AAA“ zunächst mit der Frage „wieso etwas ändern?“ einher gegangen: Allein Hitman: Absolution konnte seit der Veröffentlichung im November 2012 über 11,3 Millionen Online-Spieler vorweisen, von denen sich bis heute noch 300.000 Nutzer monatlich einloggen.

Aus Langzeitsicht war Absolution damit ein Erfolg im doppelten Sinne: Absolution wurde zum bestverkauften Hitman-Spiel der Reihe, gleichzeitig sorgte der asynchrone Mehrspieler-Aspekt rund um die von anderen Spielern erstellten „Contracts“ für langanhaltenden Wiederspielwert, der insgesamt von 3,3 Millionen Spielern genutzt wurde.

Höhere digitale Gewinnmarge und mehr Einbindung der Fans

Der Videospielemarkt ist, auch auf Konsolen, zu einem größtenteils digitalen Geschäft geworden. Aus dieser veränderten Marktlandschaft ergaben sich auch neue Chancen für die Entwickler.

Statt wie im Fall von Hitman: Blood Money und Absolution sechs Jahre an Entwicklungszeit (und Feedback-Möglichkeit der Fans) verstreichen zu lassen, erlaube das „digitale, episodische AAA“-Format der eigenen Community „näher zu sein als jemals zuvor“: Dadurch, dass die Gewinnmarge pro verkaufter Einheit im digitalen Verkauf im Vergleich zum physikalischen Vertrieb von Datenträgern „über zwei Mal größer“ ist, können Entwicklerstudios ihr Spiel für die eigenen Fans maßschneidern statt den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ anzupeilen. Die Distanz zwischen Entwicklern und ihren Spielern sei im Lauf der letzten 30 Jahre so „nah, wie nur vorstellbar“ geworden.

Von Sinneswandel bis Verwirrung

Einhergehend mit der neuen Marktrealität sei jedoch auch ein Sinneswandel aller beteiligten Akteure nötig gewesen. Anteilseigner sahen sich mit einer komplett neuen Verkaufs- und Entwicklungsstrategie konfrontiert, während das Entwicklerteam selbst ins Ungewisse blickte. Im Umgang mit „1st Parties“ stand man vor dem Problem, dass die (Konsolen-)Plattformen ein Preismodell wie das von Hitman nicht im üblichen Vollpreis-Schema erlaubten. Für die traditionellen Akteure im „physikalischen Vertrieb“ von Spielen ging die Umstellung mit Angst um den eigenen Job einher, während Distributionspartner um ihre Marge bangten. Doch am Schwierigsten zu überzeugen seien die Spieler.

Reaktionen von Hitman-Fans reichten bei der Ankündigung des ursprünglichen Preis- und Releasemodells von Überraschung bis Verwirrung. Spieler wussten nicht, wie sie mit dem Modell eines „Intro-Packs“, das per „Upgrade-Pack“ um den vollen Inhalt des Spiels erweitert werden kann, umgehen sollen. Der oft eingebrachte Einwand „Ihr verkauft uns ein unfertiges Spiel!“ ging Hand in Hand mit der Angst mancher Spieler, dass Hitman bei schlechten Verkaufszahlen womöglich nie fertiggestellt werden könnte.

Die Angst blieb nach Ansicht der Entwickler in diesem Fall unbestätigt, unter anderem weil das Studio ihr erstes „Live-Produkt“ nutzte, um neue Feedback-Strukturen in das Spiel einfließen zu lassen: Neben statistik-basierter Markt- und Nutzerforschung setzten die Entwickler auf wöchentliche Meetings, bei denen sie „hard facts“ aus der Marktforschung mit „soft facts“ zusammentrugen und analysierten: Unter letztgenannten Begriff fallen Nutzerrezensionen und Eindrücke auf Steam, in Foren und auf Metacritic. Seifert wies darauf hin, dass nur durch das Kombinieren beider Quellen ein „ganzes Bild“ entsteht: Das Phänomen der „lauten Minderheit“ kann Entwickler auf einen falschen Pfad führen: 95 Prozent der Spieler bleiben für gewöhnlich Kommunikatonskanälen wie den offiziellen Foren, den jeweiligen Subreddits oder den Steam-Foren fern.

Als Auslöser sieht Seifert missglückte Kommunikation: Wenn die eigene Nachricht kompliziert ist, sollten erst recht nicht viele gleichzeitig verschickt werden. Wie Spieleentwickler am Besten auf Verwirrung in der eigenen Community reagieren sollten, konnte Seifert nicht sagen, denn es gäbe keine perfekte Antwort und die „richtige Sprache“ zu finden sei eine „riesige Herausforderung“.

Transparenz kann auch schaden

Bei der Bemühung, möglichst transparent mit der Community während der Entwicklung umzugehen, blickte Seifert auf den „größten Fehler“ bei der Kommunikation mit den Fans zurück: „Wir wurden sehr konkret, […], und das ist etwas, das ich nicht erneut tun würde.“ Als wichtige Lektion merkt Seifert an, dass Transparenz an falscher Stelle auch schaden kann. Gerade im Hinblick auf Publisher im Generellen sei das Bild noch klarer: „Leute vertrauen Publishern nicht“, so Seifert. Entwickler sollten sich nicht auf Einzelheiten festlegen lassen, sondern ihre eigene Vision folgen: „Meidet es, durchzuführende Arbeiten / Ergebnisse zu versprechen, versprecht stattdessen Ambition und arbeitet mit Partnern, die in der Lage sind auf die gleiche Weise zu denken“, lautete der Ratschlag an das anwesende Entwicklerpublikum.

In diesem Sinne wandte sich Seifert auch gegen die in der Branche immer stärker angewandte Marketing-Praxis, „glorifizierte Demos“ unter dem Synonym einer Beta-Version anzubieten: „Wenn ihr eine Beta macht, sorgt dafür, dass es eine Beta ist“. Für IO Interactive sei die Beta-Phase eine große Hilfe für die Entwicklung und das Marketing gewesen, deren Feedback unter anderem in Veränderungen der Künstlichen Intelligenz, beim Balancing des Schwierigkeitsgrades und dem „Opportunities“-System einfloss.

Es braucht echte Beta-Versionen

Obwohl der Titel zur Veröffentlichung unter Verbindungsproblemen zum Server litt, halfen die Hinweise während der Beta dabei, im Vorfeld viele Probleme zu beseitigen. „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es [Anm.: der Launch] verlaufen wäre, hätten wir das Feedback aus der Beta nicht gehabt“, so Seifert. Auf die Nachfrage aus dem Publikum, wie es bei AAA-Titeln trotz Betas zu Server-Problemen kommen kann, sah Seifert einen der Gründe in der Motivation „Möglichkeiten zu überschreiten“ (engl.: „trying to push boundaries“), die letzten Endes immer in einer Kombination von Komplexitäten mündet.

Nach dem Launch ist vor dem Launch

Eine bekannte Marke plötzlich als Live-Erlebnis mit episodischen Inhalten zu versorgen, führt an vielen Stellen zu Reibungen. Die Entwickler finden sich plötzlich in der Rolle der Show Runner wieder, müssen aber gleichzeitig vermeiden, das eigene Team zu verschleißen: Die in der Branche weit verbreitete „Crunch-Time“ kurz vor der Veröffentlichung eines Spiels dürfe keineswegs zum Dauerzustand werden oder in einem „Todesmarsch“ enden. Auch die Unterteilung von Entwicklern in ein „game“- und ein „live“-Team sei ein Modell, das nach Ansicht Seiferts keinen Erfolg verspricht. (Üblicherweise findet diese Unterteilung bei MMOs Verwendung, um Entwicklerkapazitäten zwischen der Erstellung neuer Inhalte und dem Aufrechterhaltens des laufenden Betriebs aufzuteilen.)

Ein wirtschaftlicher Erfolg

Aus wirtschaftlicher Sicht habe sich das episodische AAA-Format gelohnt: „Jeden Tag stoßen neue Spieler dazu“, so Seifert. Im Vergleich zu Verkaufskurven bei Disc-Releases seien die Verkäufe „extrem stabil“. Auch führen die „Elusive Target“-Missionen sowie „Escalation Contracts“ und „Featured Contracts“ zu messbaren Aktivitätsspitzen der Spieler.

Für episodische Formate führte Seifert zum Schluss noch eine Beobachtung an: Sowohl bei TV-Serien als auch episodischen Spielen wie Life is Strange steigt die metacritic Bewertung für gewöhnlich sobald der gesamte Inhalt gebündelt zur Verfügung steht und Konsumenten Zugriff auf das „komplette Bild“ haben. Entwickler eines Live-Produkts, das stetig erweitert wird, sollten diese Möglichkeit als Chance und Verantwortung begreifen, die jederzeit auf sie zurückfeuern kann: „[...], but obviously, we can still fuck it up – and you know what? I like that! It makes us responsible as developers“, so Seifert. Sich durch Transparenz im Entwicklungsprozess gegenüber den Spielern zu „entblößen“ helfe Spielentwicklern dabei, bessere Spiele zu erschaffen.

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